Vorbemerkung[]
- Den Anstoß für diese Analyse gab ein Medienbericht über einen Plagiatsvorwurf gegen einen Beitrag in einer juristischen Fachzeitschrift.
Die Publikation[]
- Im März 2015 erschien der Aufsatz der Passauer Juraprofessorin U.M.: „Ein Knauf als Tür": Open Access-Verpflichtung durch Forschungsförderung vs. Gemeinfreiheitsgrenzen digitaler Wissenschaftskommunikation. Zugleich eine Auseinandersetzung mit der Open Access-Klausel der ERC-grant agreements und der Regelung des § 38 Abs. 4 UrhG, in: Juristenzeitung, Nr. 5/2015, S. 221-232.
Vorwurf und Reaktionen[]
- Im September berichtete Jochen Zenthöfer: Ein Knauf als Falltür. Plagiat in "Juristenzeitung", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.09.2015, S. N4, über einen Plagiatsvorwurf gegen diesen Aufsatz.
- Abgeschrieben worden sei darin aus Alexander Peukert: Das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Wissenschaft: Auf die Perspektive kommt es an!, in: Journal of Intellectual Property, Information Technology and E-Commerce Law (JIPITEC), 2013, S. 142-156 (PDF).
- Neben der Erwähnung einer betroffenen Passage informierte der Artikel auch über die Entscheidung der Zeitschrift, den Beitrag in ihrem elektronischen Archiv zu sperren, zitierte U.M. mit der Aussage, dass die Angelegenheit "mit dem betroffenen Autor und dem Verlag geklärt" sei, und schloss mit der Bemerkung, das Plagiat sei aufgefallen, weil die Verfasserin "bisher nicht mit Publikationen zum Urheberrecht hervorgetreten war".
- Die Universität Passau reagierte darauf mit folgender Stellungnahme:
"Der Universität Passau liegt derzeit ein Hinweis auf wissenschaftliches Fehlverhalten vor. Wir nehmen diese Angelegenheit sehr ernst. Die zuständigen Gremien und Stellen gehen dem Hinweis derzeit nach und werden alles daran setzen, die Angelegenheit aufzuklären. Die betroffene Person unterstützt uns dabei in vollem Umfang. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geben wir keine Auskunft zu der betroffenen Person."
- Ebenfalls am 16.09.2015 zitierte die Passauer Neue Presse in ihrem Bericht über den Fall die Pressesprecherin der Universität mit der Aussage: "Wann die Prüfung im vorliegenden Fall beendet sein wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen".
- Im Oktober 2015 veröffentlichte die Juristenzeitung in Heft 19, S. 936, folgende Erklärung der Verfasserin zu ihrem Aufsatz:
"Der Beitrag enthält im Haupttext auf S. 222-225 sowie im Anmerkungstext auf S. 223, 224, 226, 227, 231 und 232 wörtliche, jedoch nicht als solche gekennzeichnete Übernahmen aus dem Aufsatz von Alexander Peukert "Das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Wissenschaft", JIPITEC 4 (2012), 142-156. Ich bedauere sehr, dass es zu diesen Urheberschaftsanmaßungen gekommen ist, und übernehme die volle und alleinige Verantwortung. Bei Alexander Peukert entschuldige ich mich in aller Form."
- Die Redaktion der Zeitschrift ergänzte darunter in einer eigenen Anmerkung:
"Wir haben von dem Sachverhalt durch die Autorin Kenntnis erhalten und schließen und mit großem Bedauern der Entschuldigung an. Die elektronische Fassung des Aufsatzes ist nicht mehr abrufbar."
- In einer Pressemitteilung veröffentlichte die Universität Passau am 12.11.2015 eine Stellungnahme der Universitätsleitung, in der auch das Ergebnis der universitätsinternen Untersuchung vom 28.10.2015 referiert wird. Darin heißt es u.a.:
"Die der Kommission vorliegenden Dokumente belegen den Tatbestand des wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Der Beitrag von Prof. Dr. U[..] M[..], Universität Passau, [...] verletzt geistiges Eigentum durch unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft, [...]. Die unbefugte Verwertung ist in einem Umfang belegt, der die Bagatellgrenze überschreitet. [...]
Die Universitätsleitung hat in ihrer Sitzung am 11. November 2015 auf Grundlage der Stellungnahme der Kommission festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis vorliegt und missbilligt diesen ausdrücklich. [...]
Die Autorin hat das Fehlverhalten ohne Einschränkung eingeräumt.
Akademische Konsequenzen hält die Universitätsleitung in Abstimmung mit der Juristischen Fakultät für nicht angezeigt. [...] Das wissenschaftliche Fehlverhalten von Frau M[..] rechtfertigt den Verdacht für das Vorliegen eines Dienstvergehens. Der Präsident Prof. Dr. Burkhard Freitag wird daher als Dienstvorgesetzter pflichtgemäß ein Disziplinarverfahren einleiten."
- Im Februar 2017 berichtete Jochen Zenthöfer erneut über den Fall (Plagiatsfall Müßig: Wien lässt sich Zeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.02.2017, S. N4) und informierte darüber, dass U.M. einige Monate vor Bekanntwerden des Plagiats in die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt worden war, deren Präsidium dann die interne "Kommission für Wissenschaftsethik" mit der Prüfung des Falles beauftragt habe, um eine "Empfehlung für das weitere Vorgehen" zu erarbeiten.
Nach dem Hinweis, dass lt. ÖAW-Auskünften auch Ende 2016 die Untersuchung noch immer nicht abgeschlossen war bzw. "Anfragen, wann endlich mit einer Entscheidung zu rechnen sei", unbeantwortet blieben, bilanzierte Zenthöfer: "Mehr noch als das Verhalten der Passauer Professorin wirft die lange Verfahrensdauer ein schlechtes Licht auf Österreichs führende Wissenschaftsorganisation."
- Ende April (oder Anfang Mai) 2017 veröffentlichte die ÖAW eine vom April 2017 datierende Stellungnahme (PDF [am 26.04.2017 erstellt]), mit u.a. folgendem Inhalt:
"Nach einer umfassenden Prüfung der ihr vorliegenden Dokumente betrachtet die Akademie, wie zuvor auch die Universität Passau, das wissenschaftliche Fehlverhalten der Juristin als erwiesen. M[..], die Preisträgerin des European Research Council (ERC) bleibt, hat ihr Fehlverhalten zudem ohne Einschränkung eingeräumt. Die ÖAW ist höchsten wissenschaftsethischen Standards verpflichtet und missbilligt ausdrücklich diesen Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis.
[...] Das Präsidium der Akademie hat U[..] M[..] eine schriftliche Rüge erteilt sowie mit Beschluss vom März 2017 eine disziplinäre Maßnahme gegenüber ihrem ausländischen Mitglied gesetzt, deren Inhalt und Umfang aus Gründen des Schutzes der Persönlichkeit vertraulich behandelt werden."
- Am 06.05.2017 berichtete auch die Passauer Neue Presse (Disziplinarische Maßnahme nach Plagiat, S. 20) wieder über den Fall und zitierte aus der ÖAW-Stellungnahme; ebenso Jochen Zenthöfer am 10.05.2017 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (S. N4), der nach dem miterwähnten Umstand, dass Informationen über die Disziplinarmaßnahme nicht zu erfahren sind, seinen Artikel mit einem Kommentar des Münchner Juristen Volker Rieble beschloss: "Das ist der neuere Trend: Eine Rüge, deren Einzelheiten unter der Sichtblende des Persönlichkeitsschutzes verdeckt sind".
- Zenthöfer thematisierte den Fall erneut (Warnhinweis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.03.2018, S. N4), nachdem der im elektronischen Archiv der Juristenzeitung gesperrte Aufsatz Anfang 2018 zeitweilig wieder aufrufbar gewesen war. Er berichtete, dass diese mitgeteilt habe, dass es sich um einen "Fehler" handele, der "einem Dienstleister passiert und inzwischen korrigiert" sei. Auf die auch an die Verfasserin des Aufsatzes gerichtete Bitte um eine Stellungnahme habe diese erklärt, Presseanfragen hierzu nicht beantworten zu wollen, und darüber hinaus auf § 238 StGB (Nachstellung- oder Stalking-Paragraph) verwiesen, was Zenthöfer als "offensichtlichen Einschüchterungsversuch" wertete.
- Als Beispiel für Depublikationen wissenschaftlicher Texte und der jeweiligen Gründe für solche Maßnahmen wurde der Fall auch im März 2019 genannt (Roland Schimmel: Wenn das Internet vergisst. Wissenschaftliches Arbeiten mit depublizierten Texten, in: Legal Tribune Online, 14.03.2019).
- Im Mai 2023 erinnerte Zenthöfer erneut an den Fall und beschäftigte sich in einem Beitrag (Vergiss mein Plagiat nicht. Transparenz in der Rechtswissenschaft, in: Legal Tribune Online, 20.05.2023) mit der seitherigen Online-Verfügbarkeit des Aufsatzes sowie der Frage nach der Kennzeichnung des Sachverhalts in Online-Archiven durch einen dauerhaften Plagiatshinweis ("This article has been retracted because of plagiarism.") und dessen erhoffter Wirkung:
"Das von JSTOR gewählte Verfahren wird von Plagiatsexperten und der JZ begrüßt. Es habe den Vorteil, dass der Sachverhalt auf den ersten Blick transparent gemacht wird und transparent bleibt. 'Vor allem aber dürfte die fortwährende Abrufbarkeit mit dem Hinweis auf das Plagiat eine abschreckende Wirkung haben: Autoren müssen so davon ausgehen, dass immer wieder jemand auf ihr Fehlverhalten aufmerksam wird, und nicht so leicht Gras über die Sache wächst", sagt [der JZ-Schriftleiter Martin] Idler.'"
Gliederung des Aufsatzes und Analyseresultate[]
- Der zwölfseitige Aufsatz weist folgende Gliederung auf (die angelegten und einer Plagiatskategorie zugeordneten Fragmente – Stand: 20.09.2015 – sind bei den jeweils betroffenen Unterkapiteln vermerkt; weitere Fragmente, die der Kategorie "keine Wertung" zugeordnet wurden, bleiben hier unberücksichtigt):
- I. Einleitung [S. 221-222]
- II. Schutzgegenstand und Schutzbereich des Wissenschaftsurheberrechts [S. 222-226]
- 1. Der urheberrechtliche Werkbegriff
- a) Schöpferische Leistung und Werkkatalog (S. 222)
- b) Schranken des Urheberrechts (S. 222-223): → Fragment 222 36
- c) Unterschiede zwischen wissenschaftstheoretischer/verfassungsrechtlicher und urheberrechtlicher Perspektive (S. 223): → Fragment 223 24 (Unterkap. vollständig)
- 2. Inhalte des Urheberrechts: Urheberpersönlichkeitsrecht und Verwertungsrechte
- a) Urheberpersönlichkeitsrecht (S. 223-224): → Fragment 223 38
- b) Verwertungsrechte im digitalen Zeitalter (S. 224): → Fragment 224 17
- c) Ausschaltung der Gemeinfreiheit wissenschaftlicher Erkenntnisse durch zugangskontrollierte Online-Datenbanken (S. 224-225)
- d) Nutzungsrechte als verfügbarer Teil der Verwertungsrechte (S. 225)
- aa) Urhebervertragsrecht (§ 31 UrhG als zentrale Norm für Lizenzverträge) (S. 225)
- bb) Verkehrsfähigkeit und Einräumung der Nutzungsrechte (S. 225)
- e) Zwischenergebnis (S. 226)
- III. Vereinbarkeit von Open Access mit den Kommunikationsbedingungen und Verwertungsinteressen in der Wissenschaft [S. 226-228]
- 1. Wissenschaftsspezifische Verwertungsinteressen (S. 226): → Fragment 226 34
- 2. Open Access-Vorzüge für die Wissenschaftskommunikation (S. 226-227)
- 3. Grenzen und Nachteile (S. 227-228)
- IV. Open Access und die Unzulänglichkeit urheberrechtlicher Lösungen [S. 228-232]
- 1. Vereinbarkeit von Open Access-Veröffentlichungen mit dem Urheberrecht (S. 228): → Fragment 228 19
- 2. Neuregelung des Zweitveröffentlichungsrechts in § 38 Abs. 4 UrhG (S. 228-229)
- 3. Rechtliche Bedenken gegen § 38 Abs. 4 UrhG
- a) Europarechtliche Bedenken (S. 229)
- b) Verfassungsrechtliche Bedenken
- aa) Verstoß gegen Grundrechte der Wissenschaftsverlage aus Art. 12,14 GG (S. 229-230)
- bb) Verstoß gegen Grundrechte des Urhebers aus Alt-14 GG (S. 230-231)
- cc) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (S. 231)
- dd) Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, Art. 20 Abs. 3 GG (S. 231)
- ee) Zwischenergebnis (S. 231)
- 4. Grenzen anderer urheberrechtlicher Lösungen (S. 231-232)
- V. Ausblick [S. 232].
Illustration[]
- Die Visualisierung der Vergleichsergebnisse (Stand: 21.09.2015) erfolgt vorbehaltlich der Bestätigung durch noch ausstehende Fragmentsichtungen, weitere angelegte Fragmente, die der Kategorie "keine Wertung" zugeordnet wurden, bleiben hier unberücksichtigt.
- Die Rotmarkierungen kennzeichnen Textparallelen, die der Kategorie Verschleierung zugeordnet wurden.
Die Nichtlesbarkeit des Textes ist aus urheberrechtlichen Gründen beabsichtigt.
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