Angaben zur Quelle [Bearbeiten]
Autor | Andrea Kottow |
Titel | Der kranke Mann - Zu den Dichotomien Krankheit/Gesundheit und Weiblichkeit/Männlichkeit in Texten um 1900 |
Ort | Berlin |
Jahr | 2004 |
Anmerkung | Diss. |
URL | http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000001426 |
Literaturverz. |
ja |
Fußnoten | ja |
Fragmente | 9 |
[1.] Asc/Fragment 055 07 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 20:49:29 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 55, Zeilen: 7-15 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 48, 50, Zeilen: 48: 03-07; 50: 01-05 |
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In diesem Kapitel widme ich mich – basierend auf Susan Sontag – verschiedenen Ansätzen zu dem Komplex Krankheit und Literatur, um einen Überblick über mögliche Darstellungen dieses Verhältnisses zu geben. Es zeigt, welche theoretischen Möglichkeiten und Probleme auftauchen, wenn Krankheit in ihrer ästhetischen Darstellung betrachtet wird.
Untersucht man die Thematik der Krankheit in der Literatur um die Jahrhundertwende, geraten die Fragen nach der Beziehung von empirischer und ästhetischer Krankheit in den Vordergrund. Sind Degeneration, Schizophrenie oder Neurasthenie als empirische oder ästhetische Krankheiten zu betrachten?2 In welchem Diskurs und mit welchen Charakteristika behaftet, tauchen diese Krankheitsbil[der auf?] 2 Kottow, Andrea, Der kranke Mann. Zu den Dichotomien Krankheit / Gesundheit und Weiblichkeit / Männlichkeit in den Texten um 1900. Dissertation, Charité - Universitätsmedizin Berlin, 2004, 50. |
Im folgenden Kapitel werde ich mich verschiedenen Ansätzen zu dem Komplex Krankheit und Literatur widmen, um einen Überblick über die Möglichkeiten zu verschaffen, dieses Verhältnis zu denken und darzustellen. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, welche theoretischen Möglichkeiten und Probleme auftauchen, wenn Krankheit in ihrer ästhetischen Repräsentation betrachtet wird.
[Seite 50] Untersucht man die Thematik der Krankheit um die Jahrhundertwende, geraten die oben gestellten Fragen nach der Beziehung von empirischer und ästhetischer Krankheit in den Vordergrund. Sind ‚Degeneration‘, Neurasthenie, Hysterie als empirische oder ästhetische Krankheiten zu betrachten? In welchen Diskursen und mit welchen Charakteristika behaftet tauchen diese Krankheitsbilder auf? |
Kein Hinweis auf Art und Umfang der Übernahmen. |
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[2.] Asc/Fragment 056 01 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 20:48:08 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 56, Zeilen: 1 ff. (komplett) |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 48, 49, Zeilen: 48:26 - 49:18 |
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[In welchem Diskurs und mit welchen Charakteristika behaftet, tauchen diese Krankheitsbil-]der auf? Inwiefern ist der medizinische Diskurs über diese Krankheiten mit ihrer literarischen Darstellung und Verarbeitung zu vergleichen?
Eine der wichtigsten Fragen, die auftauchen, wenn es um die theoretische Beschreibung des Verhältnisses von Krankheit und Literatur geht, gilt der Bezugnahme auf „empirische“ Krankheit und den Repräsentationen von Krankheit.3 Die erste theoretische Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die Akzeptanz oder Ablehnung der Trennlinie zwischen Empirie und Repräsentation. Gibt es eine Realität, die den repräsentativen Vorstellungen von Realität vorausgeht, oder konstituiert sich „Realität“ nur über Repräsentationen?4 Diskursanalytische Ansätze, die sich an Foucault orientieren, sehen den Diskurs als eine im Ensemble der Sprachcluster mittransportierte Weltansicht, also die subjektunabhängige Verknüpfung von Elementen und Argumenten.5 Deshalb können Diskurse in diesem Kontext mit Repräsentation gleichgesetzt werden.6 Jegliche soziale Praxis fällt unter den Begriff des „Diskurses“: Dieser ist die einzige Möglichkeit, mit der und über die „Realität“ zu kommunizieren. Eine andere Fragestellung setzt die verschiedenen Formen der Repräsentation von Krankheit in Beziehung.7 Ist ein literarisch gezeichnetes Bild von Krankheit etwas anderes als eine wissenschaftliche Konstruktion von Krankheit? In poststrukturalistischen Anschauungsweisen, denen der Begriff des „Textes“ zu Grunde liegt, sind kulturelle Diskurse und Praktiken als Zeichensysteme zu verstehen, die eine eigene Bedeutung aufweisen und eine Ebene der Bezugnahme zu anderen Kommunikationssystemen besitzen.8 Von innen her bildet ein spezifischer kultureller Diskurs ein System, dessen Elemente in diesem Modell aufeinander bezogen sind. Auf einer anderen Ebene kommuniziert dieses Zeichensystem mit anderen Modellen, die aus anderen Elementen zusammengesetzt sind. Unterschiedliche Zeichensysteme können in ihren differenten Funktionsweisen verglichen werden. Es handelt sich jeweils um Repräsentationssysteme, die zwar auf interner Ebene verschiede-[ne Regulierungsmechanismen aufweisen, deren Bezug zur „Realität“ jedoch durch ähnliche Entfremdungscharakteristika gekennzeichnet ist.9] 3 Kottow 2004, 48. 4 Ebd., 50. 5 www.utb-stuttgart.de/2791_Leseprobe.pdf – 05.04.2009, 228. 6 Kottow 2004, 48. 7 Ebd., 49. 8 Ebd. |
Eine der zentralen Fragen, die auftauchen, wenn es um die Theoretisierung des Verhältnisses von Krankheit und Literatur geht, richtet sich auf die Bezugnahme auf ‚empirische’ Krankheit und Repräsentationen von Krankheit. Die erste theoretische Entscheidung, die hierbei fallen muss, ist die Akzeptanz oder Ablehnung der Trennungslinie zwischen Empirie und Repräsentation. Gibt es eine Realität, die den repräsentativen Vorstellungen von Realität vorausgeht oder konstituiert sich ‚Realität’ nur über Repräsentationen? Diskursanalytische Ansätze, die sich an Foucault anlehnen, negieren die Möglichkeit der Aussage über eine
[Seite 49] außerhalb des Diskurses liegende Realität. Diskurs kann in diesem Kontext mit Repräsentation gleichgesetzt werden. Jegliche soziale Praxis fällt unter den Begriff des ‚Diskurses’: Dieser ist die einzige Möglichkeit, mit der und über die ‚Realität’ zu kommunizieren. Eine andere Fragestellung stellt die verschiedenen Formen der Repräsentation von Krankheit in Beziehung. Ist ein literarisches Bild von Krankheit anders als eine wissenschaftliche Konstruktion von Krankheit? Lassen sich Funktionsweise und Operationsmechanismen unterschiedlicher Diskurse vergleichen? In poststrukturalistischen Anschauungsweisen, denen der Begriff des ‚Textes’ zu Grunde liegt, sind kulturelle Diskurse und Praktiken als Zeichensysteme zu verstehen, die eine immanente Dimension aufweisen und eine Ebene der Bezugnahme zu anderen Kommunikationssystemen besitzen. Intrinsisch bildet ein spezifischer kultureller Diskurs ein System, dessen Elemente in diesem Modell aufeinander bezogen sind. Auf einer anderen Ebene kommuniziert dieses Zeichensystem mit anderen Modellen, die aus anderen Baussteinen konstituiert werden. Unterschiedliche Zeichensysteme können in ihren differenten Funktionsweisen verglichen werden. Es handelt sich jeweils um Repräsentationssysteme, die zwar auf interner Ebene verschiedene Regulierungsmechanismen aufweisen, deren Bezug zur ‚Realität’ jedoch durch ähnliche Entfremdungscharakteristika markiert ist. |
Kein Hinweis auf Art und Umfang der Übernahmen. |
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[3.] Asc/Fragment 057 01 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-12-07 17:12:37 Schumann | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 57, Zeilen: 01-05, 11-28 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 49, 50, Zeilen: 49:15-28; 50:08-21 |
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[Es handelt sich jeweils um Repräsentationssysteme, die zwar auf interner Ebene verschiede-]ne Regulierungsmechanismen aufweisen, deren Bezug zur „Realität“ jedoch durch ähnliche Entfremdungscharakteristika gekennzeichnet ist.9 Als Beispiel möge der Essay Illness as Metaphor („Krankheit als Metapher“) von Susan Sontag aus dem Jahre 1975 dienen. Er veranschaulicht die Beziehung von Krankheit und Literatur, von „realer“ und „ästhetischer“ Krankheit.
[...] Susan Sontag plädiert für eine ethisch begründete Abkehr von der „Krankheit als Metapher“, um den „realen“ Kranken als Ausgangs- und Endpunkt ihres Gedankengangs nehmen zu können. Ausgangspunkt ihrer Analyse in ihrem Text „Krankheit als Metapher“ ist der Kranke selbst. Was geschieht mit dem Kranken, welches Leid wird dem kranken Menschen zugefügt, indem er und seine Krankheit in die Literatur und die ihr eigenen Strategien einbezogen werden? Die Amerikanerin versucht eher, der ‚kranken Realität‘ hinter den literarischen Texten gerecht zu werden, als eine Textwelt zu erhellen und ihre Repräsentationseigenheit herauszustellen.10 Ihre Textstrategie führt oft ohne Übergänge von literarischen Textbeispielen zu medizinischen Tatbeständen, um Differenzen hervorzuheben und die Literatur als eine Art Lüge zu entlarven. Das Verhältnis von Krankheit und Literatur gestaltet sich aus ihrer Sicht als eine ungerechte Behandlungsweise von Seiten der Ästhetik gegenüber der Realität, die sie als Ausgangspunkt wählt. Strukturell geht Sontag so vor, dass sie Literatur als einen Diskurs über eine schon vorhandene und für sich existierende Realität betrachtet. Literarische Texte werden so zu kulturellen Zweitprodukten, die sich in erster Linie auf bestimmte Weise mit einem empirischen Erstprodukt – der Realität – auseinandersetzen.11 9 Kottow 2004, 49. 10 Sontag 1991, 27-28. 11 Ebd., 25. |
Es handelt sich jeweils um Repräsentationssysteme, die zwar auf interner Ebene verschiedene Regulierungsmechanismen aufweisen, deren Bezug zur ‚Realität’ jedoch durch ähnliche Entfremdungscharakteristika markiert ist.
Im Folgenden werden drei Theoretiker und ihre jeweilige Herangehensweise an die Problematik der Beziehung von Krankheit und Literatur vorgestellt. Susan Sontag, Sander Gilman und Thomas Anz postulieren drei verschiedene Formen, die Beziehung von Krankheit und Literatur, von ‚realer’ und ‚ästhetischer’ Krankheit zu denken. In den Differenzen ihrer Anschauungen werden bestimmte Problematiken, die bei dem Theoretisieren über das Verhältnis von Krankheit und Literatur auftauchen, besonders deutlich und es werden jeweils unterschiedliche Wege eingeschlagen, um Lösungen auf theoretische Fragen zu geben. Susan Sontag plädiert für eine ethisch bedingte Abkehr von der „Krankheit als Metapher“, um den ‚realen’ Kranken als Ausgangs- und Endpunkt ihres Gedankengangs zu nehmen. [Seite 50] Ausgangspunkt der Sontagschen Analyse in ihrem Text Krankheit als Metapher81 ist der Kranke selbst. Was geschieht mit dem Kranken, welches Leid wird dem kranken Menschen zugefügt, indem er und seine Krankheit in die Literatur und die ihr eigenen Strategien einbezogen werden? Die Amerikanerin versucht eher, der ‚kranken Realität‘ hinter den literarischen Texten gerecht zu werden als eine Textwelt zu erhellen und ihre Repräsentationseigenheit vorzuweisen. Ihre Textstrategie führt oft übergangslos von literarischen Textbeispielen zu medizinischen Tatbeständen, um klaffende Differenzen hervorzuheben und die Literatur als eine Art ‚Lüge‘ zu entlarven. Das Verhältnis von Krankheit und Literatur gestaltet sich aus ihrer Sicht als eine ungerechte Behandlungsweise von Seiten der Ästhetik gegenüber der Realität, die sie als Ausgangspunkt wählt. Strukturell geht Sontag so vor, dass sie Literatur als einen Diskurs über eine schon vorhandene und für sich existierende Realität betrachtet. Literarische Texte werden so zu kulturellen Zweitprodukten, die sich in erster Linie auf bestimmte Weisen mit einem empirischen Erstprodukt - der Realität - auseinandersetzen. 81 Susan Sontag, Krankheit als Metapher, Frankfurt am Main: 1996. Eine ähnliche Argumentationslinie verfolgt Sontag in ihrem späteren und komplementären Essay Aids and its Metaphors, London: 1988. |
Kein Hinweis auf Art und Umfang der Übernahme. |
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[4.] Asc/Fragment 058 01 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 21:42:06 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 58, Zeilen: 01-30 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 50-51, Zeilen: 50: 21 - 51: 02, 09-26 |
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Literatur wird als ästhetische und kulturelle Praxis verstanden, die notwendigerweise mit einer fest bestehenden Welt kommuniziert. Diese Kommunikation erlangt in manchen Momenten auch Wechselseitigkeit, jedoch führt der Hauptstrang dieser Bezugnahme von der Welt zum Text. Sontag wählt einen ethischen Blickpunkt, um diesen Bezug zu beschreiben: Dürfen bestimmte Realitäten in Texte eingehen, und wem widerfährt damit Unrecht? Diese Diskursfragen ziehen sich als leitende Fragestellung durch ihren Essay. In dieser Auseinandersetzung beruht Sontags Argumentation insbesondere auf drei Hauptelementen: Erstens auf literarischen Texten und ihrer Repräsentation von Krankheit; zweitens auf Phantasien und Vorstellungen, die an bestimmte Pathologien gekettet sind und für die vor allem die literarische Welt verantwortlich gemacht wird; drittens auf der „wahren“ Krankheit und ihrem Erscheinungsbild als Erfahrung des Kranken.12
Als Beispiele für die Metaphorisierung – Leitbegriff des Essays –, die bestimmte Krankheiten in der Kunst und in der allgemeinen Vorstellung der Menschen erfahren, dienen Tuberkulose und Krebs. Beiden Krankheiten ist gemein, das sie sich besonders für die Belegung von Phantasien und ästhetisierenden Projektionsflächen eignen, da sie zum einen schwer beurteilbar und zum anderen als ein unheilbar fortschreitendes Leiden assoziiert werden. Beide Eigenschaften werden nach Sontag in der Vorstellungswelt der Allgemeinheit verstärkt, da sie in erster Linie als grundlegende körperlich-seelische Grundverfassung des Menschen dienen, die es ermöglichen, aus diesen Krankheiten ein mit Metaphern und Phantasien zu füllendes Feld zu erstellen.13 Tuberkulose und Krebs werden als Beispiele gegenübergestellt, da sie strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen und zudem in dem Grad der kollektiven Vorstellungen, die sie in der Gesellschaft auslösen, vergleichbar sind. Obwohl beide Krankheiten für unterschiedliche Epochen in der Krankheitsgeschichte stehen, lassen sich ihre Pathologien miteinander vergleichen: Tuberkulose ist die ästhetisierte Krankheit der Romantik, während Krebs in der zeitgenössischen Literatur eine dominante Rolle einnimmt.14 Das Verbindende der den Krankheiten anhaftenden Phantasien ist die menschliche Leidenschaft. Die mit den Krankheiten assoziierten Bilder lassen sich allerdings als entgegengesetzte aufweisen. Sontags [Fazit könnte vereinfacht heißen: Tuberkulose ist die Krankheit der Übersensiblen, der von Leidenschaft getriebenen Menschen, während Krebs die der Unzulänglichkeit darstellt.] 12 Kottow 2004, 50. 13 Sontag, S., Kapitel 9. 14 Sontag 1991, 70. |
Literatur wird als ästhetische und kulturelle Praxis verstanden, die notwendigerweise mit einer fest bestehenden Welt kommuniziert. Diese Kommunikation erlangt in manchen Momenten auch Wechselseitigkeit, jedoch führt der Hauptstrang dieser Bezugnahme von der Welt zum Text. Sontag wählt einen ethischen Blickpunkt, um diesen Bezug zu beschreiben: Dürfen bestimmte Realitäten in Texte auf diese oder jene Weise eingehen und wem geschieht damit Unrecht? Als unausgesprochene, jedoch leitende Fragestellung ziehen sich diese Diskussionsfragen durch ihren Essay. Sontags Argumentation beruht in der Auseinandersetzung insbesondere auf drei Hauptelementen: Erstens auf literarischen Texten und ihrer Repräsentation von Krankheit; zweitens auf Phantasien und Vorstellungen, die an bestimmte Pathologien gekettet sind und
[Seite 51] für die vor allem die literarische Welt verantwortlich gemacht wird; drittens auf der ‚wahren‘ Krankheit und ihrem Erscheinungsbild als Erfahrung des Kranken. [...] Als paradigmatische Beispiele für die Metaphorisierung - Leitbegriff des Essays -, die bestimmte Krankheiten in Kunst und in der allgemeinen Vorstellung der Menschen erfahren, dienen Tuberkulose und Krebs. Diese Krankheiten eignen sich besonders für die Belegung von Phantasien und ästhetisierenden Interpretationen, also als Projektionsflächen, da sie zum einen durch einen launischen Charakter charakterisiert und zum anderen mit Unheilbarkeit assoziiert werden. Beide Eigenschaften werden nach Sontag in der Vorstellungswelt der Allgemeinheit geradezu potenziert. Sie dienen in erster Linie als grundlegende Konditionen, die es ermöglichen, aus diesen Krankheiten ein mit Metaphern und Phantasien zu füllendes Feld zu erstellen. Tuberkulose und Krebs werden als Beispiele gegenübergestellt, da sie strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen und zudem in der Intensität der Vorstellungen, die sie auslösen und evozieren, vergleichbar sind. Auch diachronisch gesehen, lassen sich beide Pathologien miteinander vergleichen: Tuberkulose ist die ästhetisierte Krankheit der Romantik, während Krebs in der zeitgenössischen Literatur eine dominante Rolle einnimmt. Konvergenzpunkt der den Krankheiten anhaftenden Phantasien ist die menschliche Leidenschaft. Die mit den Krankheiten verbundenen Bilder lassen sich allerdings als entgegengesetzte aufweisen. Vereinfacht ist das Fazit Sontags: Tuberkulose ist die Krankheit des Überschusses an Leidenschaft, während Krebs die der Unzulänglichkeit derselben darstellt. |
Kein Hinweis auf Art und Umfang der Übernahme. |
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[5.] Asc/Fragment 059 01 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 21:40:12 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 59, Zeilen: 1 ff. (komplett) |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 51-52, Zeilen: 51: 24 - 52: 18 |
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[Sontags] Fazit könnte vereinfacht heißen: Tuberkulose ist die Krankheit der Übersensiblen, der von Leidenschaft getriebenen Menschen, während Krebs die der Unzulänglichkeit darstellt. Über dieses Muster findet durch Tuberkulose eine Sublimierung des Erkrankten statt15, im Gegensatz zu dem an Krebs leidenden Menschen, der für seine Krankheit verantwortlich gemacht wird.
Wie schon angedeutet, wird es schwierig, eine Grenze – auch wenn diese nur instrumental gezogen werden könnte – zwischen der literarischen Krankheit und den sozialen Phantasien zu definieren, die bei Sontag auch nicht an bestimmten Diskursen oder sozialen Praktiken festgemacht werden. So erscheint als so genannte literarische Phantasie auch die Projektion, die Sontag als allgemein präsent in ein Gesellschaftsbild einbettet.16 Literatur und allgemeine Wahrnehmung fallen zusammen und bilden ein Gefüge, welches sich gegen die erfahrene und medizinische Krankheit abhebt. Auf der einen Seite steht die Metapher der Krankheit in den außermedizinischen, kulturellen Diskursen, auf der anderen Seite innerhalb der medizinischen Diskurse und als konkrete Erfahrung beim Leidenden. Sontag veranschaulicht und betont in ihrem Text die Divergenzen zwischen beiden Bereichen. Die Metaphorisierung von Krankheit, wie schon der Titel ihres Essays andeutet, wird von den literarischen Repräsentationen und Assoziationen hervorgebracht. Als Verschleierungsmechanismus und als Aufstellung einer erfundenen Realität, die sich nicht mit der empirischen Erfahrung deckt, fungiert Literatur bzw. Kunst als Parallele, die jedoch die neben ihr funktionierende Wahrheit verdeckt.17 Literarische Krankheit ist Erfindung und dient bestimmten Intentionen. Sontag situiert in der Mitte des 18. Jahrhunderts gesellschaftliche Wandlungs[prozesse insbesondere bezüglich sozialer und geographischer Mobilität.] 15 Susan Sontag weist auf zwei prominente Beispiele in der kanonischen Literatur hin: Die Brüder Goncourt nannten in ihrem Roman „Madame Gervaisais“(1869) Tuberkulose die Krankheit der vornehmen und edlen Teile des Menschen und stellten sie den ‚Krankheiten der rohen, niedrigen Körperorgane, die den Geist des Patienten vernebeln und beschmutzen...‘ gegenüber. In Thomas Manns früher Erzählung „Tristan“ hat die junge Ehefrau Luftröhrentuberkulose: ‚...und Gott sei Dank, dass es nicht die Lunge war! Wenn es aber dennoch die Lunge gewesen wäre – diese neue Patientin hätte keinen holderen und veredelteren, keinen entrückteren und unstofflicheren Anblick gewähren können, als jetzt, da sie an der Seite ihres stämmigen Gatten, weich und ermüdet in den weiß lackierten, geradlinigen Armsessel zurückgelehnt, dem Gespräche folgte. “Sontag 1991, 18 16 Kottow 2004, 52. 17 Ebd. |
Vereinfacht ist das Fazit Sontags: Tuberkulose ist die Krankheit des Überschusses an Leidenschaft, während Krebs die der Unzulänglichkeit derselben darstellt. Über dieses Muster findet durch Tuberkulose eine Sublimierung des Erkrankten statt82, im Gegensatz zu dem an Krebs leidenden Menschen, der eigenverantwortlich für seine Krankheit gemacht wird.
[Seite 52] Schwierig wird es, wie schon angedeutet, eine Trennungslinie - auch wenn diese nur instrumental gezogen werden könnte - zwischen der literarischen Krankheit und den sozialen Phantasien zu ziehen, die bei Sontag auch nicht an bestimmten Diskursen oder sozialen Praktiken festgemacht werden. So erscheint als sogenannte literarische Phantasie auch die Projektion, die Sontag als allgemein präsent in einem Gesellschaftsbild situiert. Literatur und allgemeine Wahrnehmung fallen zusammen und bilden ein Gefüge, welches sich gegen die erfahrene und medizinische Krankheit abhebt. Auf der einen Seite steht die Metapher der Krankheit in Literatur, Ästhetik und allgemeinen Vorstellungen, auf der anderen Seite die empirische Krankheit als konkrete Erfahrung beim Leidenden und als Wissen und Praxis in der Medizin. Sontag veranschaulicht und akzentuiert in ihrem Text die Divergenzen zwischen beiden aufgestellten Bereichen. Die Metaphorisierung von Krankheit, wie schon der Titel ihres Essays andeutet, wird von den literarischen Repräsentationen und Assoziationen hervorgebracht. Als Verschleierungsmechanismus und als Aufstellung einer erfundenen Realität, die sich nicht mit der empirischen Erfahrung deckt, fungiert Literatur und Kunst als Parallele, die jedoch die neben ihr funktionierende Wahrheit verdeckt. Literarische Krankheit ist Erfindung und dient bestimmten Intentionen. Sontag situiert in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine gesellschaftliche Transformation insbesondere bezüglich sozialer und geographischer Mobilität. 82 Susan Sontag verweist hierbei auf zwei prominente Beispiele in der kanonischen Literatur. „Die Brüder Goncourt nannten ihren Roman Madame Gervaisais (1869) Tb ‚diese Krankheit der vornehmen und edlen Teile des Menschen‘ und stellten sie den ‚Krankheiten der rohen, niedrigen Körperorgane, die den Geist des Patienten vernebeln und beschmutzen...‘ gegenüber. In Thomas Manns früher Erzählung ‚Tristan‘ hat die junge Ehefrau Luftröhrentuberkulose: ‚...und Gott sei Dank, daß es nicht die Lunge war! Wenn es aber dennoch die Lunge gewesen wäre – diese neue Patientin hätte keinen holderen und veredelteren, keinen entrückteren und unstofflicheren Anblick gewähren können, als jetzt, da sie an der Seite ihres stämmigen Gatten, weich und ermüdet in den weiß lackierten, geradlinigen Armsessel zurückgelehnt, dem Gespräche folgte. Siehe Susan Sontag, Krankheit als Metapher, idem., Fußnote auf Seite 22. |
Kein Hinweis auf Art und Umfang der Übernahme. |
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[6.] Asc/Fragment 060 01 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 21:38:19 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 60, Zeilen: 1-13, 17-26 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 52, 53, Zeilen: 52:17 - 53:05 |
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[Sontag situiert in der Mitte des 18. Jahrhunderts gesellschaftliche Wandlungs]prozesse insbesondere bezüglich sozialer und geographischer Mobilität. Soziale Kategorien wie gesellschaftlicher Rang verlieren ihren gegebenen Charakter und bestimmen sich als durchzusetzende Realität. Übertragungswege, über die dieser Etablierungsversuch verläuft, sind ferner Kleider und Verhaltensweisen wie auch die Inszenierung von Krankheit.18 Körper und Krankheit, letztere verstanden als eine Art innerer Zierde des Körpers, werden zu potenziellen Trägern einer Ausdrucksform des Selbst und dessen Situierung in einem Gesellschaftsbild, dessen Koordinaten komplexer und undurchschaubarer geworden sind. Die zur Künstlerkrankheit romantisierte Tuberkulose wurde auf der einen Seite mit exzessiver, auszehrender Leidenschaft assoziiert und einer höheren sozialen Klasse19 zugeordnet. Auf der anderen Seite galt sie aber auch als Auswirkung von Frustration. Diese Assoziation ist für Sontag ein erstes weit verbreitetes Beispiel für die entschieden moderne Aktivität, aus dem Selbst ein Image zu machen.20 [...]
Das, was Sontag etwas undifferenziert als literarische Krankheit oder, um bei ihrer Terminologie zu bleiben, als Metaphorisierung von Krankheit bezeichnet, ist somit ein Darstellungsprozess, bei dem das pathologische Bild strategisch genutzt wird, um an ihm bestimmte Werte festzumachen. Literatur bzw. Metaphern verweisen so wieder zurück auf die empirische Welt, von der sie ausgegangen sind.21 Spezifisch für die Metaphorisierung von Krankheit ist also ein Transformieren von Gehalten, die der Realität entnommen sind und die in der Folge wieder auf diese zurück transponiert werden. Durch die Aufstellung zweier sich in einem Konkurrenzverhältnis befindenden Formen der Krankheit, – einmal als Literatur, d.h. als Konstruktion, Phantasie, [Projektion, die Krankheiten auch als obszön darstellt und den Kranken aus der Gesellschaft exkommuniziert, und zum anderen als erfahrene oder besser als erlittene Realität – begibt sich Sontag in eine zweiteilige Struktur, die sich über die Werte von Lüge und Wahrheit, von falsch und richtig definieren lässt.] 18 Sontag 1991, 28. 19 Das gesamte Jahrhundert über bestand eine besondere Beziehung zwischen Tuberkulose, Kunst und literarischem Schaffen. „Das Fieber, die Auszehrung waren daher nur der körperliche Ausdruck eines Feuers, das bald die Glut der Sehnsucht, bald des Genies war und die Blässe des Kranken belebte. Die glänzenden Augen, die roten Wangen waren Ausdruck eines selbstzerstörerischen Seelenfeuers: die Tage des Tuberkulosekranken verglühten.“ (Laennec 1826) 20 Kottow 2004, 52. 21 Ebd. |
Sontag situiert in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine gesellschaftliche Transformation insbesondere bezüglich sozialer und geographischer Mobilität. Soziale Kategorien wie gesellschaftlicher Rang verlieren ihren gegebenen Charakter und bestimmen sich nun als durchzusetzende Realität. Kanäle, über die dieser Etablierungsversuch verläuft, sind ferner Kleider und Verhaltensweisen, wie auch die Inszenierung von Krankheit. Körper und Krankheit, letztere verstanden als eine Art innerer Dekor des Körpers, werden zu potenziellen Trägern einer Ausdrucksform des Selbst und dessen Situierung in einem Gesellschaftsbild, dessen Koordinaten komplexer und undurchschaubarer geworden sind. Die Romantisierung der Tuberkulose, das heißt die Assoziation dieser Krankheit mit Eleganz, Zartheit, Schönheit, Sensibilität und Zugehörigkeit zu einer höheren sozialen Klasse, gelten Sontag als erstes weitverbreitetes Beispiel für die entschieden moderne Aktivität, aus dem Selbst ein Image zu machen. Das, was Sontag etwas undifferenziert als literarische Krankheit oder, um bei ihrer Terminologie zu bleiben, als Metaphorisierung von Krankheit bezeichnet, ist somit ein Darstellungsprozess, bei dem das pathologische Bild strategisch genutzt wird, um an ihm bestimmte Werte festzumachen. Literatur bzw. Metapher verweisen so wieder zurück auf die empirische Welt, von der sie ausgegangen sind. Spezifisch für die Metaphorisierung von Krankheit ist also ein Transformieren von Gehalten, die der Realität entnommen sind und die in der Folge wieder auf diese zurück transponiert werden.
[Seite 53] Durch die Aufstellung zweier, sich in einem Konkurrenzverhältnis befindenden Formen der Krankheit, - einmal als Literatur, d.h. als Konstruktion, Phantasie, Projektion und zum anderen als erfahrene oder besser als erlittene Realität - begibt sich Sontag in eine dichotomische Struktur, die sich über die Werte von Lüge und Wahrheit, von falsch und richtig definieren lässt. |
Art und Umfang der Übernahme bleiben ungekennzeichnet. |
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[7.] Asc/Fragment 061 01 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 23:36:47 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 61, Zeilen: 1-30 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 53, Zeilen: 1-25 |
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[Durch die Aufstellung zweier sich in einem Konkurrenzverhältnis befindenden Formen der Krankheit, – einmal als Literatur, d.h. als Konstruktion, Phantasie,] Projektion, die Krankheiten auch als obszön darstellt und den Kranken aus der Gesellschaft exkommuniziert, und zum anderen als erfahrene oder besser als erlittene Realität – begibt sich Sontag in eine zweiteilige Struktur, die sich über die Werte von Lüge und Wahrheit, von falsch und richtig definieren lässt. Krankheit ist für Sontag in erster Linie keine Konstruktion und keine Metapher, sondern eine erfahrene Realität, die den Kranken leiden lässt. Die Medizin dient dabei als Möglichkeit, dieses Leiden zu mindern oder zu entfernen. Konstruktionen von Krankheit verdecken diese Erfahrung und machen aus der Pathologie ein zu komplexes Gefüge, welches die Erfahrung von Krankheit unnötig belastet.22 Der Kranke wird nicht nur mit seinem konkreten Leiden konfrontiert, sondern erfährt noch dazu besondere gesellschaftliche Zuwendung, z.B. durch Straf-, Schuld- und Minderwertigkeitsphantasien, die oft durch populäre und pseudowissenschafltiche Krankheitsbilder erzeugt werden. Sontag konstruiert in ihrem Essay somit eine zweigeteilte und klar unterscheidbare Struktur: Es gibt eine wahre, konkret erfahrene Realität, in der Krankheit Empirie ist, und es gibt eine hierauf aufbauende Welt der Metaphorisierung von Krankheit, die jedoch den Bezug zur realen Krankheit verliert und diese mit ihren Konstruktionen verschleiert, romantisiert und überdeckt.23 Für Sontag gilt es, diese zweite Form des Umgangs mit Krankheit zu erschließen und ihre Mechanismen freizulegen. Argumentativ geht Susan Sontag den Weg der Gegenüberstellung: Diese oder jene Krankheit sieht in der Metapher folgendermaßen aus, in der Realität jedoch nicht; also ist ersteres Erfindung bzw. Verschleierung oder Verschönerung, und das Zweite die Realität, die es zu konfrontieren gilt.
Der große Nachteil des Sontagschen Ansatzes ist die fehlende spezielle literarische Betrachtung. Sontag fragt weder nach Textstrategien noch nach der Bedeutung bestimmter Krankheiten innerhalb eines literarischen Textes.24 Der Verweis führt direkt zurück auf die empirische Welt und die Erfahrung der Krankheit. Sontag bleibt auf der Ebene der Beschreibung des Krankheitsbildes in der Metapher, jedoch untersucht sie ihre Funktionsweise nicht, auch nicht den Zusammenhang oder die Tragweite der Metaphorisierung. Die Ablehnung der Metapher ist verbunden mit einem nicht zu erschütternden Glauben an den Fortschritt der Medizin. 22 Kottow 2004, 53. 23 Ebd., 52. 24 Ebd. |
Durch die Aufstellung zweier, sich in einem Konkurrenzverhältnis befindenden Formen der Krankheit, - einmal als Literatur, d.h. als Konstruktion, Phantasie, Projektion und zum anderen als erfahrene oder besser als erlittene Realität - begibt sich Sontag in eine dichotomische Struktur, die sich über die Werte von Lüge und Wahrheit, von falsch und richtig definieren lässt. Krankheit ist für Sontag in erster Linie keine Konstruktion und keine Metapher, sondern eine empirische Realität, die den Kranken als Leiden tangiert. Die Medizin fungiert dabei als Möglichkeit, dieses Leiden zu mindern oder zu entfernen. Konstruktionen von Krankheit verdecken diese Erfahrung und machen aus der Pathologie ein zu komplexes Gefüge, welches die Erfahrung von Krankheit unnötigerweise belastet. Der Kranke wird nicht nur mit seinem konkreten Leiden konfrontiert, sondern wird noch dazu gesellschaftlich stigmatisiert. Sontag konstruiert in ihrem Essay hiermit eine zweigeteilte und klar unterscheidbare Struktur: Es gibt eine wahre, konkret erfahrene Realität, in der Krankheit Empirie ist, und es gibt eine hierauf aufbauende Welt der Metaphorisierung von Krankheit, die jedoch den Bezug zur realen Krankheit verliert und diese mit ihren Konstruktionen verschleiert, romantisiert und überdeckt. Für die Amerikanerin gilt es, diese zweite Form des Umgangs mit Krankheit aufzuschlüsseln und ihre Mechanismen freizulegen. Argumentativ geht Susan Sontag den Weg der Gegenüberstellung: Diese oder jene Krankheit sieht in der Metapher folgendermaßen aus, in der Realität jedoch nicht; also ist die erste Erfindung, bzw. Verschleierung oder Verschönerung, und die zweite die Realität, die es zu konfrontieren gilt.
Die große Leerstelle des Sontagschen Ansatzes ist die fehlende Betrachtung des spezifisch Literarischen. Sontag fragt nicht nach Textstrategien, nicht nach der Signifikanz, welche bestimmte Krankheiten innerhalb eines literarischen Textes annehmen. Der Verweis führt direkt zurück auf die empirische Welt und die Erfahrung der Krankheit. Sontag bleibt auf der Ebene der Beschreibung des Krankheitsbildes in der Metapher, jedoch untersucht sie ihre Funktionsweise nicht, auch nicht die Kohärenz oder Tragweite der Metaphorisierung. |
Art und Umfang der Übernahme bleiben ungekennzeichnet. |
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[8.] Asc/Fragment 062 13 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-10-03 14:18:21 Guckar | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 62, Zeilen: 13-27 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 53-54, Zeilen: 53:27 - 54:08 |
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Dieser Ausschluss der Eigenheit des Literarischen führt dazu, dass Sontag keine Abtrennung zwischen der Literatur und Ästhetik und den allgemeinen Gesellschaftsbildern aufstellt.26 Auch wenn eine Abgrenzung höchst komplex wäre und nur als Werkzeug für eine Analyse diente, können beide Elemente nicht deckungsgleich funktionieren. Nicht immer lassen sich Literatur und allgemeine moralische Vorstellungen einer Gesellschaft vereinen. Literarische Texte haben schließlich das Potenzial der Subversion; sie können Gesellschaftsbilder unterlaufen, irritieren, in Frage stellen. Laut Sontag korrespondieren literarische Metaphern und allgemeine Wahrnehmung von Krankheit; Literatur nährt diese Gesellschafts-vorstellungen [sic] mit Bildern und verstärkt sie damit noch. Dass Literatur auch Sensibilität und somit Realität in Bezug auf Erfahrungen schaffen kann, bleibt in Sontags Argumentation ebenso unbeachtet.27
Auch wenn Sontags ethischer Standpunkt wichtige Positionen hervorhebt, was den gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit anbelangt, so durchkreuzen ihre persönlichen Krankheitserfahrungen den wissenschaftlichen Anspruch ihres Essays. Dies tritt besonders an der Stelle hervor, an der sie selber Metaphern verwendet, um das Verhältnis von Kranken und Gesunden anschaulich darzustellen. 26 Kottow 2004, 53. 27 Ebd., 54. |
Meiner Ansicht nach führt dieser Ausschluss der Eigenheit des Literarischen auch dazu, dass Sontag keine Abtrennung zwischen der Literatur und Ästhetik und den allgemeinen Gesellschaftsbildern aufstellt. Auch wenn eine Abgrenzung höchst komplex sein würde und nur als Werkzeug dienen könnte, um eine Analyse aufzustellen, können beide Elemente nicht deckungsgleich funktionieren. Nicht immer stehen Literatur und allgemeine Vorstellungen einer Gesellschaft in einem harmonischen Verhältnis. Literarische Texte haben schließlich auch das Potenzial der Subversion; sie können Gesellschaftsbilder auch unterlaufen, irritieren, in Frage stellen. Nach Sontag korrespondieren
[Seite 54] literarische Metaphern und allgemeine Wahrnehmung von Krankheit; Literatur nährt diese Gesellschaftsvorstellungen mit Bildern und verstärkt sie damit noch. Dass auch Literatur Realität oder überhaupt Sensibilität schaffen kann in Bezug auf Erfahrungen, bleibt in Sontags Argumentation ebenso unbeachtet. Auch wenn Sontags ethischer Standpunkt wichtige Punkte hervorhebt, was den gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit anbelangt, ist er jedoch durch die binäre Struktur geprägt, in der Sontag sich bewegt: Krankheit als Erfahrung ist wahr und neutral; Krankheit als Metapher ist unwahr und mit strategisch durchzusetzenden Werten beladen. |
Art und Umfang der Übernahme bleiben ungekennzeichnet. |
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[9.] Asc/Fragment 063 15 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2013-09-21 23:43:18 Graf Isolan | Asc, BauernOpfer, Fragment, Gesichtet, Kottow 2004, SMWFragment, Schutzlevel sysop |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 63, Zeilen: 15-27 |
Quelle: Kottow 2004 Seite(n): 54, Zeilen: 13-26 |
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Was die Medizin oder auch das individuelle Erleben als krank definiert, ist variabel und kann nur in historischen und kulturellen Koordinaten erfasst werden. Ebenfalls sollten die von Sontag absolut getrennten und sich nicht berührenden sozialen Praktiken – das Metaphorisieren von Krankheit und das Erfahren von Pathologie – eher als sich in einer wechselseitigen Beziehung befindende Elemente betrachtet werden.30 Von einem diskursanalytischen Ansatz ausgehend, könnten sowohl Erfahrung wie auch Medizin nur in einem „Reden über“ in bestimmten Koordinaten verstanden werden und wären damit ebenfalls mit Intentionen und Strategien beladen, wie sie Sontag nur für den literarischen und allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellungsraum auffasst.31 An dieser Stelle sei auch auf den fehlenden Blick Sontags dafür hingewiesen, wie unterschiedlich Literatur mit Themen, Gedanken und Problematiken umgeht. Literatur ist ein Diskurs, der mit anderen
sozialen und kulturellen Diskursen kommuniziert. Diese Kommunikationsformen [sind vielschichtig und wechselseitig und bilden eine hohe Komplexität, die Susan Sontag auf Grund ihres Ansatzpunktes verkennt.32] 30 Kottow 2004, 54. 31 Ebd. 31 Kottow 2004, 54. [32 Kottow 2004, 54.] |
Was die Medizin oder auch das individuelle Erleben als krank bezeichnet, ist variabel und kann nur in historischen und kulturellen Koordinaten erfasst werden. Ebenfalls scheinen mir die von Sontag absolut getrennten und sich nicht berührende sozialen Praktiken - das Metaphorisieren von Krankheit und das Erfahren von Pathologie - eher als sich in einer wechselseitigen Beziehung befindende Elemente. Von einem diskursanalytischen Ansatz ausgehend, könnten sowohl Erfahrung wie auch Medizin nur in einem ‚Reden über‘ in bestimmten Koordinaten verstanden werden und wären damit ebenfalls mit Intentionen und Strategien beladen, wie es Sontag nur für den literarischen und allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellungsraum auffaßt. Hier würde ich auch den fehlenden Blick Sontags situieren, der sich gegenüber den heterogenen Arten, wie Literatur Themen, Motive und Problematiken aufgreift, verschließt. Literatur ist ein Diskurs, der mit anderen sozialen und kulturellen Diskursen kommuniziert. Diese Kommunikationsformen sind vielschichtig und wechselseitig, sie bilden eine hohe Komplexität, die von Sontag auf Grund ihres ethizistischen Ansatzpunktes verkannt wird. |
Art und Umfang der Übernahme bleiben ungekennzeichnet. |
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