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Typus
BauernOpfer
Bearbeiter
Schumann
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 355, Zeilen: 10-17, 19-29, 101, 103-105, 108
Quelle: Rahn 2004
Seite(n): 69; 70; 71, Zeilen: 69: 16-23, 36-38, 103-104; 70: 6-7, 20-30, 107-108; 71: 2-5
Eine wesentliche Gemeinsamkeit von Hochstapler und Dichter besteht nach Wulffen auf der produktionsästhetischen Ebene: Beide folgen, zusammengefasst, dem Prinzip der Inspiration. Die „instinktive Sicherheit“ des Hochstaplers, der Orientierung eines Schlafwandlers gleich, das Gespür für die richtige Gelegenheit, entspreche der kontemplativen Haltung, mit der sich der Dichter „den Eindrücken, die die Dinge auf ihn machen“, hingibt, um sich durch sie „in Stimmung“ setzen zu lassen.518 [...] Der Dieb oder Hochstapler befinde sich in einem „Traumzustand“520 oder Trancezustand, in dem er sich fiktional betätigt und eine Welt „erfindet“. [Er wird zum Autor521 und Hochstapelei zur „realisierten Literatur“.522] Sie folgt literarischen Mustern und kann unter eine Gattung subsumiert werden. Wulffen erwähnt die Komödie, die satirische Verserzählung und den Schwankroman. Mit dem Till Eulenspiegel bestimmt er eine literarische Figur als Prototyp des Hochstaplers. Auch der Pikaro setzt die Dialektik des Hochstaplers um. Märchen- oder romanhafte Züge trägt schon die betrügerische Namenswahl des Hochstaplers.523

Wulffens produktionsästhetische These ist, dass der Künstler gene-[rell in dem Masse zum Schwindler wird, in dem er sich auf die Faktur seiner Werke konzentriert:]


518 Wulffen, Psychologie des Hochstaplers, S. 41.

[...]

520 Ebd., S. 47.

521 In diesem Sinne wertet Wulffen (Psychologie des Hochstaplers, S. 32 f.) auch die Inszenierung des Schusters Wilhelm Voigt von 1906 als quasi-literarischen Akt. [Vgl. hinten Kap. H.III.

522 Rahn, Der Lügner als Autor, S. 70.]

523 Wulffen, Psychologie des Hochstaplers, S. 42.

[Seite 69]

Auf der produktionsästhetischen Ebene teilen der Hochstapler und der Dichter, Wulffen zufolge, das Prinzip der Inspiration. Die „instinktive Sicherheit“ des Hochstaplers, die der Orientierung eines Schlafwandlers verglichen wird, das Gespür für die richtige Gelegenheit entspreche der kontemplativen Haltung, mit der sich der Dichter „den Eindrücken, die die Dinge auf ihn machen“, hingibt, um sich durch sie „in Stimmung“31 setzen zu lassen. Diesen „Traumzustand“32 im Vollzug des Verbrechens hatte Wulffen bereits in seiner Manolescu-Studie durch einen Vergleich mit dem inspirierten Dichtungsvorgang kommentiert:

[...]

Im Moment des Verbrechens - als Täuscher, als Dieb - befindet sich der Hochstapler nicht in der Wirklichkeit, sondern in einem Trancezustand, in dem er sich und seine Umwelt ‚erfindet‘.

[Seite 70]

In diesem Sinne wertet Wulffen den berühmten Auftritt des Schusters Wilhelm Voigt als Hauptmann von Köpenick im Jahr 1906 als quasi-literarischen Akt:34

[...]35

Die Hochstapelei – als realisierte Literatur – ist nach literarischen Mustern angelegt; bereits die betrügerische Namenswahl des Hochstaplers kann märchen- oder romanhafte Züge tragen.36 Der hochstaplerischen Aktion können konkrete Gattungsmodelle zum Vorbild (oder zum Vergleichsmaßstab einer Überbietung) dienen; Wulffen erwähnt im Zusammenhang mit der Köpenickiade Vertreter dreier Textsorten: Komödie, satirische Verserzählung und Schwankroman. Mit dem Till Eulenspiegel wird eine literarische Figur als Prototyp des Hochstaplers bestimmt, deren betrügerische Handlungen anthropologische und gesellschaftliche Mängel ins Licht treten lassen. Einen weiterer Typus, der ebenfalls die lügenkritische Dialektik des Hochstaplers auslebt, der Pikaro des europäischen Schelmenromans, findet sich zwar nicht in Wulffens Aufzählung, aber bezeichnenderweise bei Manolescu.

[Seite 71]

Im letzten Kapitel seiner Psychologie des Hochstaplers, das insbesondere dem Verhältnis von Literatur und Hochstapelei gewidmet ist,37 entfaltet Wulffen die These, daß der Künstler generell in dem Maße zum Schwindler wird, in dem er sich auf die Faktur seiner Werke konzentriert.


31 Ebd. [= Wulffen: Psychologie des Hochstaplers], S. 41.

32 Ebd., S. 47.

[...]

[34 Vgl. Voigt, Wilhelm: Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde. Mit eine Vorwort von Hans Hyan. Leipzig, Berlin: Püttmann 1909 [Neuausgabe hrsg. von Reinhard Lehmann. Berlin: Eulenspiegel Verlag 1986]; Der Fall Köpenick. Akten und zeitgenössische Dokumente zur Historie einer preußischen Moritat. Hrsg. von Wolfgang Heidelmeyer. Frankfurt am Main: Fischer 1968; Löschburg, Winfried: Ohne Glanz und Gloria. Die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick. 6. Aufl. Berlin: Buchverlag Der Morgen 1996.]

35 Wulffen: Psychologie (wie Anm. 15), S. 32f.

36 Vgl. ebd., S. 42

[37 Vgl. ebd., S. 77-90. Wulffen behandelt hier neben der Psychologie des Schaffensprozesses schwerpunktmäßig Phantasten, Lügner und Hochstaplerfiguren in literarischen Werken.]

Anmerkungen

Die Quelle wird in Fn. 522 zwar für ein kurzes Zitat genannt, doch bleibt dem Leser verborgen, dass ihr auch die weiteren referierenden Ausführungen zu Wulffen (teils wörtlich) entnommen wurden.

Sichter
(Schumann) Stratumlucidum