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Typus
BauernOpfer
Bearbeiter
Graf Isolan
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 94, Zeilen: 1-20 (komplett)
Quelle: Merkel 2001
Seite(n): 1 (Internetversion), Zeilen: -
[Diese Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung bezieht zwar im Normalfall den Embryo in die moralische Sphäre des Lebens] und Würdeschutzes mit ein, in jedem gewichtigen Sonderfall wird dieser Schutz aber gegen andere kollidierende Interessen abgewogen. Diese Abwägung hat zur Folge, dass es nicht möglich ist, einem Embryo, der keine der oben genannten Eigenschaften hat, sondern sie wie der frühe Embryo noch niemals hatte und zudem nichts erleben kann, ein eigenes subjektives Recht auf Leben von Beginn an zuzuerkennen.334

Auch das vom Bundesverfassungsgericht aufgeführte Argument, der menschliche Entwicklungsprozess sei ein kontinuierlicher Prozess, der keine scharfen Einschnitte aufweise, weshalb es willkürlich sei, einen solchen Einschnitt zu markieren, kann nicht zur Begründung eines unbedingten Lebensrechts des Embryos herangezogen werden, da es einen klassischen Fehlschluss aufweist. Dass ein Geschehen ein Kontinuum darstellt, bedeutet nicht, dass man in ihm keine gut und willkürfrei begründeten Einschnitte machen könnte.335

Ebenso wenig ist das Potenzialitätsargument, welches besagt, dass zwar die aktuellen Eigenschaften menschlicher Embryonen nicht dafür geeignet sein mögen, Menschenwürde und Tötungsverbot zu begründen, aber seine erwartbaren Eigenschaften genau die seien, auf denen das allgemeine Menschenrecht auf Leben und Würde moralisch gründe, geeignet, ein bedingungsloses Lebensrecht zu begründen. Der embryonale Status bezeichnet nämlich ein Kontinuum, welches für sich alleine kein moralisch bedeutsames Unterscheidungskriterium zu anderen Trägern eines Potenzials künftiger Menschenexistenz aufweist, denen niemand ein Recht auf Leben wird einräumen wollen, nämlich zu Ei- und Samenzelle. Schließlich kann die Stärke des Potenzials dieser Keimzellen der des embryonalen Potenzials vollstän[dig entsprechen und trotzdem ein Lebensrecht nicht plausibel erklären.336]


334 Merkel: Feuilleton: Recht für Embryonen, Die Zeit Nr. 05/2001, S. 37 (38), Merkel bildet hierzu folgendes Beispiel: „In einem biotechnischen Labor bricht Feuer aus. In dem Labor befinden sich zehn am Vortag in vitro gezeugte lebende Embryonen und außerdem ein durch den Rauch bereits tief bewusstloser Säugling. Ein in letzter Sekunde in das Labor eindringender Retter erkennt sofort, dass er nur noch entweder den Säugling oder die zehn Embryonen retten kann. Hätte irgend jemand ernsthafte Zweifel, wie sich der Retter entscheiden sollte? Und hätte irgend jemand solche Zweifel, wenn es nicht um zehn, sondern um hundert oder gar tausend Embryonen ginge?“

335 Merkel: Feuilleton: Recht für Embryonen, Die Zeit Nr. 05/2001, S. 37 (38), Merkel bildet hierzu folgendes Beispiel: „Ein Mann von 1,50 m Körpergröße ist ein kleiner Mann. 1 mm mehr an Größe macht ganz gewiss nicht den entscheidenden Unterschied von klein zu groß aus. Nun fahre man mit der Addition jeweils eines Millimeters fort. Jedes Mal markiert der Vorgang nicht den entscheidenden Einschnitt, vor dem der Mann „klein“ und nach dem der Mann „groß“ genannt werden muss. Wenn ich richtig rechne, muss man die Addition genau tausendmal wiederholen, um bei dem Ergebnis zu landen, dass ein Mann von 2,50 m Größe ein kleiner Mann sei. Keine dieser Übergänge stellt einen „scharfen“ Einschnitt zwischen klein und groß dar, wie ihn das Verfassungsgericht für einen Willkürausschluss verlangt. Dennoch können wir völlig willkürfrei zwischen einem kleinen Mann von 1,50 m Größe und einem großen von 2,50 m unterscheiden.“

[336 Merkel: Feuilleton: Recht für Embryonen, Die Zeit Nr. 05/2001, S. 37 (38), Merkel bildet hierzu folgendes Beispiel: „Stellen wir uns einen Humangenetiker beim Vorgang der künstlichen Befruchtung vor. Er beobachtet unter dem Mikroskop, wie sich in der Petrischale ein einzelnes Spermium soeben anschickt, in eine Eizelle einzudringen. Blitzschnell schiebt er in letzter Sekunde ein Glasplättchen zwischen beide und verhindert die Befruchtung. Ist hier irgendetwas Verwerfliches passiert? Gewiss nicht, nicht mehr jedenfalls als bei jeder anderen Empfängnisverhütung. Aber ein Potenzial ist an der Entwicklung gehindert worden, das sich bereits zu einer Chance verdichtet hatte, die der Chance einer soeben befruchteten Eizelle - eines Embryos - praktisch vollständig gleichkam.“]

Der Leser zweifelt? Er erwäge das folgende Szenario: In einem biotechnischen Labor bricht ein Feuer aus. In dem Labor befinden sich zehn am Vortag in vitro gezeugte, lebende Embryonen und außerdem ein durch den Rauch bereits tief bewusstloser Säugling. Ein in letzter Sekunde in das Labor eindringender Retter erkennt sofort, dass er nur noch entweder den Säugling oder die zehn Embryonen retten kann. Gattungssolidarität hin oder her: Hätte irgendjemand ernsthafte Zweifel, wie sich der Retter entscheiden sollte? Und hätte irgendjemand solche Zweifel, wenn es nicht um zehn, sondern um hundert, ja meinetwegen um tausend Embryonen ginge?

Was das Beispiel zeigt, ist dies: Die Gattungssolidarität mag im Normalfall einen Grund für den Einbezug des Embryos in die moralische Sphäre des Lebens- und Würdeschutzes abgeben. In jedem halbwegs gewichtigen Sonderfall ist dieser Schutzreflex gegen kollidierende andere Interessen abwägbar - ganz anders als ein echtes Recht auf Leben! [...] Beurteilt man den Embryo nur nach seinem aktuellen Status quo, dann ist es nicht möglich, ein genuin eigenes, ein subjektives Recht auf Leben und Würde für ihn zu begründen.

[...] Und genau das ist der Sinn des zweiten unserer Argumente, des Kontinuumsarguments. Was damit gemeint ist, hat am besten das BVerfG in seinem ersten "Fristenlösungsurteil" von 1975 formuliert: Der menschliche Entwicklungsprozess sei "ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist". Daher sei es willkürlich, einen solchen "Einschnitt" zu markieren. Deshalb müsse der Lebens- und Würdeschutz schon mit dem Anfang der embryonalen Entwicklung einsetzen.

Das ist das tragende Argument der Entscheidung. Erstaunlich ist dies deshalb, weil es einen klassischen, nämlich seit der Antike bekannten Fehlschluss demonstriert. Dass ein Vorgang ein Kontinuum darstellt, bedeutet keineswegs, dass man in ihm keine gut und willkürfrei begründeten "Einschnitte" machen könnte. Wer zweifelt, folge mir wieder in ein Beispiel der Veranschaulichung: Ein Mann von 1,50 Meter Körpergröße ist ein kleiner Mann; 1 Millimeter mehr an Größe macht ganz gewiss nicht den entscheidenden Unterschied von "klein" zu "groß" aus. Nun fahre man mit der Addition jeweils eines Millimeters fort (und wer Zeit und Geduld hat, kann auch mikrometerweise zählen): Jedes Mal markiert der Vorgang nicht den entscheidenden Einschnitt, vor dem der Mann "klein" und nach dem er "groß" genannt werden muss. Wenn ich richtig rechne, muss man die Addition genau tausendmal wiederholen, um bei dem Ergebnis zu landen, dass ein Mann von 2,50 Meter Größe ein kleiner Mann sei.

Keiner dieser Übergänge stellt einen "scharfen Einschnitt" zwischen klein und groß dar, wie ihn das Verfassungsgericht für einen Willkürausschluss verlangt. Dennoch können wir völlig willkürfrei zwischen einem kleinen Mann von 1,50 Meter und einem großen von 2,50 Meter unterscheiden, genauso wie wir zwischen stockdunkler Nacht und sonnenhellem Tag unterscheiden können, auch wenn im Zwielicht der Morgendämmerung keine einzige der dabei verrinnenden Hundertstelsekunden einen "scharfen Einschnitt" markiert, vor dem es dunkel und nach dem es hell gewesen wäre.

Das dritte unserer Argumente, das Potenzialitätsargument, lautet so: Zwar mögen sich die aktuellen Eigenschaften menschlicher Embryonen nicht dafür eignen, Menschenwürde und Tötungsverbot zu begründen; aber seine erwartbaren künftigen Eigenschaften sind genau die, auf denen das allgemeine Menschenrecht auf Leben und Würde moralisch gründet. Diese Chance der Zukunft, gewissermaßen sein Status potentialis, darf ihm daher nicht genommen, sein Leben also nicht zerstört werden.

Der embryonale Status potentialis allein kann Lebensrecht und Menschenwürde nicht begründen. Er bezeichnet tatsächlich ein Kontinuum, das für sich genommen keine moralisch bedeutsamen Unterscheidungsmerkmale zu anderen Trägern eines Potenzials künftiger Menschenexistenz aufweist, denen niemand ein Recht auf Leben wird einräumen wollen, nämlich zur Ei- und zur Samenzelle. Die Stärke des Potenzials bereits dieser Keimzellen kann der des embryonalen Potenzials vollständig entsprechen und dennoch ein Lebensrecht nicht plausibel machen. Auch das lässt sich leicht veranschaulichen.

Stellen wir uns einen Humangenetiker beim Vorgang einer künstlichen Befruchtung vor. Er beobachtet unter dem Mikroskop, wie sich in der Petrischale ein einzelnes Spermium soeben anschickt, in eine Eizelle einzudringen. Blitzschnell schiebt er in letzter Sekunde ein Glasplättchen zwischen beide und verhindert die Befruchtung. Ist hier irgend-etwas Verwerfliches passiert? Gewiss nicht, nicht mehr jedenfalls als bei jeder anderen Empfängnisverhütung, etwa mittels eines Kondoms.

Aber ein Potenzial ist an der Entwicklung gehindert worden, das sich bereits zu einer Chance verdichtet hatte, die der Chance einer soeben befruchteten Eizelle - eines Embryos! - praktisch vollständig gleichkam.

Anmerkungen

Art und Umfang der Übernahme bleiben ungekennzeichnet.

In den Fußnoten wird korrekt (und umfangreich) zitiert, im Fließtext hingegen wird ungekennzeichnet übernommen. Insgesamt finden sich so große Teile des Artikels von Merkel in der Dissertation.

Sichter
(Graf Isolan), Guckar