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Typus
BauernOpfer
Bearbeiter
Graf Isolan
Gesichtet
Yes
Untersuchte Arbeit:
Seite: 43, Zeilen: 1ff (komplett), 101-110
Quelle: Hohenberger 1998
Seite(n): 27, 28, 29, Zeilen: 27:21-36.41 - 28:1-19.23-40 - 29:1-5
[Der Dokumentarfilm filmt nicht die Realität, sondern eine vorfilmische,] die der Film selbst produziert. Die unterschiedlichen Ebenen von Realität, die für den Dokumentarfilm eine Rolle spielen (vorfilmisch, nachfilmisch, nichtfilmisch, putativ usw.), hat 1994 von Hattendorf ausführlich dargestellt.59

Unter den Begriffen „Postmoderne“ und „Simulation“ wird die „(Un)möglichkeit“ des Dokumentarfilms in einer Realität diskutiert, die die Verhältnisse von Vor- und Abbild umkehrt.60 Nur noch wenige Forscher bestreiten, dass soziale und filmische Wirklichkeiten ausschließlich als konstruiert zu begreifen sind. Um sich in seinen Realitätsbezügen zu positionieren, muss der Dokumentarfilm seinen Anspruch auf Wahrheit aufrecht erhalten, obwohl sich dieser immer weniger in der Wiedergabe von Sichtbarkeiten realisieren lässt. Dass Ereignisse von vornherein als Medienereignisse konzipiert und durchgeführt werden, führt also nicht automatisch zur Unmöglichkeit des Dokumentarfilms. Nicht zufällig kommen manche Theoretiker61 des Dokumentarfilms auf Vertov zurück. Nicht seine „ontologische Authentizität“ des Fakts, die wie jede photographische Ontologie spätestens mit der Digitalisierung der Bilder zur Disposition steht, sondern sein Konzept des Intervalls62, mit dem sich der Dokumentarfilm von der Mimesis befreien kann, bietet Anknüpfungspunkte.

Die von den klassischen Theorien vorgenommenen Begriffsbestimmungen des Dokumentarfilms, die auf den Ebenen von Institution, sozialer Aufgabe und Rezeption den Unterschied zum Spielfilm behaupten, haben wissenschaftliche Theorieansätze zum Dokumentarfilm als Text zunächst eingeschränkt, um unter pragmatischer Perspektive wieder erweitert zu werden.63 Auf diesem Weg sind einige traditionelle Momente der Definition des Genres stark erschüttert worden. Alle Ansätze, die aus der Aufzeichnung von Realität eine spezifische Qualität des Dokumentarfilms gewinnen wollen, scheinen obsolet. Das „indexikalische“ Band zwischen filmischem Zeichen und außerfilmischem Referenten trifft in gleicher Weise auf alle photographischen Bilder zu und kann ein filmisches Genre nicht begründen. Die eindeutigen Zuordnungen von Original (Welt) und Bild gehen zudem mit den technologischen Entwicklungen der digitalen Bilderproduktion verloren.64 Das digitale Bild ist nicht mehr länger die Kopie eines abwesenden Originals, während das Original zunehmend bildhafter wird und seinen Status als Original zu verlieren beginnt. Dessen erneute Kopie wäre faktisch nur mehr die Simulation der Simulation. Auch jene Begriffsbestimmungen, die die Spezifik des Dokumentarischen an einen Gegensatz zur Fiktion binden, sind ins Wanken [geraten.]


59 Manfred Hattendorf: Dokumentarfilm und Authentizität. Ästhetik und Pragmatik einer Gattung (Close Up; Bd. 4), Konstanz 1994, S. 43-50.

60 Vgl. Jean Baudrillard: Die Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 37f. Nach Baudrillard wird das Reale durch „Zeichen des Realen“ nicht mehr dargestellt, sondern „substituiert“, wodurch die Realität als Referent des Dokumentarfilms in der Simulation verschwindet.

61 William Howard Guynn: A Cinema of Nonfiction, Rutherford 1990; Joachim Paech: Zur Theoriegeschichte des Dokumentarfilms, in: Journal Film, 1990, S. 24-29.

62 Der Intervallbegriff betrifft nicht nur die Beziehung zwischen zwei Einstellungen, sondern auch die zwischen zwei (und mehr) Tönen, zwischen Ton und Bild, zwischen Bild und Bedeutung.

63 Vgl. Hohenberger: Dokumentarfilmtheorie, in: dies.: Bilder des Wirklichen, 1998, S. 28.

64 Ebd.

[Seite 27]

Der Dokumentarfilm filmt nicht die, sondern eine vorfilmische Realität, die der Film selbst produziert. Die unterschiedlichen Ebenen von Realität, die für den Dokumentarfilm eine Rolle spielen (vorfilmisch, nachfilmisch, nichtfilmisch, putativ usw.), sind zuletzt von Hattendorf (1996,43ff) noch einmal ausführlich dargestellt worden.

Wenn heute, wie Müller (optimistisch) schreibt, »nur noch wenige Forscher die Tatsache [bestreiten], daß soziale und filmische Wirklichkeiten) ausschließlich als konstruierte zu begreifen sind« (Müller 1995, 129), bedeutet dies auch eine erneute Reflexion der sozialen Funktion des Dokumentarfilms. Unter den Stichworten »Postmoderne« und »Simulation« wurde bereits die »(Un)möglichkeit« des Dokumentarfilms in einer Realität diskutiert, die die Verhältnisse von Vor- und Abbild umkehrt. Nach Baudrillard19, auf den sich Paech (1990) bezieht, wird das Reale durch »Zeichen des Realen« nicht mehr dargestellt, sondern »substituiert«, wodurch die Realität als Referent des Dokumentarfilms in der Simulation verschwindet. [...] Daß Ereignisse von vornherein als Medienereignisse konzipiert und

[Seite 28]

durchgeführt werden, führt also nicht automatisch zur Unmöglichkeit des Dokumentarfilms. Gerade als im pragmatischen Sinn stets aufs neue auszuhandelnde Realitätskonstruktion und soziale Praxis muß er sich in seinen Realitätsbezügen immer wieder neu positionieren. Dabei heißt es auch keineswegs »Abschied von der Wahrheit zu nehmen«, wie Peter Krieg (1990, 92) formuliert, sondern im Gegenteil einen emphatischen Anspruch auf Wahrheit aufrechtzuerhalten, wohl wissend, daß er sich weniger denn je in der Wiedergabe von Sichtbarkeiten realisieren läßt. Wohl nicht zufällig kommen manche Theoretiker des Dokumentarfilms wieder auf Vertov zurück (Guynn 1980; Paech 1991; Trinh 1995), nicht auf seine »ontologische Authentizität« des Fakts, die wie jede photographische Ontologie spätestens mit der Digitalisierung der Bilder zur Disposition steht, wohl aber auf sein Konzept des Intervalls,mit dem sich der Dokumentarfilm von der Mimesis befreien kann. Bei Trinh taucht der Intervallbegriff sogar explizit wieder auf; nun mit dem Zusatz »reflexiv« versehen, meint er nicht mehr nur die Beziehung zwischen zwei Einstellungen, sondern ebenso zwischen zwei (und mehr) Tönen, zwischen Ton und Bild, zwischen Bild und Bedeutung. [...]

In Hinblick auf die von den klassischen Theorien vorgenommenen Begriffsbestimmungen des Dokumentarfilms, die auf den vier Ebenen von Institution, sozialer Aufgabe, Produkt und Rezeption seinen spezifischen Wirklichkeitsbezug in Differenz zum Spielfilm behauptet hatten, haben die wissenschaftlichen Theorieansätze in ihrer Konzentration auf den Dokumentarfilm als Text zunächst die Dimensionen des Dokumentarischen eingeschränkt, um sie dann unter pragmatischer Perspektive wieder zu erweitern. Auf diesem Weg sind einige traditionelle Momente in der Definition des Genres stark erschüttert worden: Obsolet scheinen alle Ansätze, die aus der Aufzeichnung von Realität eine spezifische Qualität des Dokumentarfilms gewinnen wollen. Das indexikalische Band zwischen filmischem Zeichen und außerfilmischem Referenten trifft alle photographischen Bilder gleichermaßen und kann nicht ein filmisches Genre begründen. Die eindeutigen Zuordnungen von Original (Welt) und Bild brechen zudem mit den technologischen Entwicklungen der digitalen Bilderproduktion auf. Das digitale Bild ist nicht mehr länger die Kopie eines abwesenden Originals, während das Original als zunehmend bildhaftes

[Seite 29]

bereits den Status eines Originals zu verlieren beginnt. Dessen erneute Kopie wäre in der Tat nurmehr die Simulation der Simulation.

Auch jene Begriffsbestimmungen, die die Spezifik des Dokumentarischen an einen Gegensatz zur Fiktion binden, sind ins Wanken geraten.


19. Jean Baudrillard: Die Agonie des Realen. Berlin 1978.

Anmerkungen

Art und Umfang der Übernahme bleiben ungekennzeichnet. Lediglich zwei Fußnoten am Ende der Seite verweisen auf die eigentliche Autorin des Textes.

Sichter
(Graf Isolan) Schumann